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Jenseits vom Notenpult (oder: ein Bratscher wird 60)

Wenn jede Originalkomposition von der barocken Zeit bis zum brandaktuellen und wahrscheinlich ersten Bratschenkonzert des 21. Jahrhunderts (Gil Shohat, 28-jähriger Jungstar der israelischen Komponistenszene hat das Opus geschrieben und Tabea Zimmermann im Oktober 2001 in Berlin uraufgeführt) seinen Reiz verloren hat, wenn jede Transkription für Bratsche von mittelalterlichen Tänzen über die Cello-Suiten bis zu Verbrechen der Neuzeit (gibt es etwa neben den "Pop-Hits für Blockflöte" auch "Pop-Hits für Bratsche"?) abgenudelt ist, dann strebt die/der Bratschenbegeisterte zu anderen (musikalischen) Ufern. Ein Blick in den Jazz zeigt zwar, dass die Viola existent ist - auf das Titelbild des Tickets Nr. 43/2001, der Tagesspiegel-Kulturbeilage, hat es z.B. Martin Stegner, Bratscher bei den Berliner Philharmonikern und bei seiner "Philharmonic Jazz Band" geschafft. Hier scheint man sich dem Jazz jedoch eher akademisch zu nähern. Große Namen wie bei der Geige (Stephane Grapelli) sucht man jedenfalls vergebens (wer kennt bekannte Jazz-BratscherInnen? Bitte melden!).

Bei der kleinen viersaitigen Verwandten sieht es mit der Migrationsbewegung von der E- in andere Musiken ganz anders aus. Zwar gibt es auch unrühmliche Beispiele (Vanessa-Mae kann dem geneigten Popkonsumenten nicht nur die vier Jahreszeiten fiedeln, sondern auch nasse T-Shirts tragen), die mit dem Schlüssel- und Gummibegriff "Cross-Over" zu bezeichnenden Ausflüge des "Punkgeigers" Nigel Kennedy zu Jazz und Jimmy Hendrix oder einem Solo bei Paul McCartney werden jedoch immer wohlwollend zur Kenntnis genommen (ein ganz böser Bratschenwitz von Herrn Kennedy: was ist die Gemeinsamkeit zwischen Bratschern und den Terroristen des 11. Septembers? "Problems with the bowing/Boeing!"). Im Jazz gibt es den Spannungsbogen zwischen den Traditionalisten wie Stephane Grapelli (s.o.) und den jungen Wilden (z.B. Billy Bangs). Mik Kaminsky hat mit seiner elektrischen Geige neben den zwei Cellisten in der Glanzzeit (ca. 1973-1979) das Electric Light Orchestra erleuchtet. Im Grenzbereich zwischen Pop und Avantgarde operiert die zynische Laurie Anderson (die auch schon mal einen Bogen mit Tonband als Haare benutzte, den sie dann mit dem Magnetkopf auf der Geige als Abspielgerät zusammenbrachte). In Deutschland kennt man im Pop-/Rock-/Independentbereich Namen wie City und Hans die Geige (Ostrock), Das Holz (zwei Geigen und ein Schlagzeug) und die Inshtabokatables (Hauptakteure des Mittelalterrock). Im Folk- und Countrybereich spielt die Geige seither eine wichtige Rolle.

Aber die Bratsche? Es gibt avantgardistische Streichquartette (Kronos Quartett, Modern String Quartett, Turtle Island String Quartett), das Penguin Café Orchestra hat mit Geoffrey Richardson einen außerordentlich vielseitigen Bratscher (der auch Gitarre, Bass, Mandoline, Ukulele, Cuatro spielt). Ja, es gibt noch Robbie Steinhardt, der bei den Rockklassikern Kansas (ja, genau, die mit dem Kulthit "Dust in the Wind", der eine schöne Streicherbegleitung besitzt) Geige und Bratsche bedient. Auch die Herren von Cream haben die Bratsche des Produzenten Felix Pappalardi eingesetzt (Bassist Jack Bruce ist übrigens klassischer Cellist). Um eigenständige, expressive Solisten zu finden, muss man lange suchen. In den Siebzigern waren die Avantgardeband Art Zoyd aus Frankreich (Gerard Hourbette) und die deutschen "Parzifal" mit Violasolisten ausgerüstet. In der heutigen Zeit sind dies z.B. Violet Cab (mit Viola, Live-Elektronik, Drums) und E.A.R. (Experimental Audio Research), die Rockmusik, E-Viola und Improvisationsästhetik miteinander verbinden und in Berlin z.B. anläßlich der Kunstausstellung "SENSATIONS" im Jahr 1999 aufgetreten sind. Es lohnt sich, den Spuren nachzugehen, hier liegt Material für weitere Artikel über die Bratsche - über den Notenpultrand betrachtet - verborgen.

Aber es geht hier um einen bestimmten Mann, den Paten der elektrischen Bratsche, der schon viel früher aktiv war. Er hat das Instrument dahin gebracht, wo sich kein anderes Orchesterinstrument bis dahin vorgewagt hat!

Am Abend des 14. November 2001 läuft zur besten Sendezeit am Abend Jan Schüttes deutsch-polnische Produktion "Der Abschied" über einige der letzten Tage Bert Brechts , im August 1956 in seinem Refugium am Buckower Schermützelsee. Der Film wird von wenigen schlanken, wiederkehrenden, mal fröhlichen, mal melancholischen Klavierthemen unterlegt. Komponiert hat sie ein überaus vielseitiger Komponist, Songwriter, Sänger mit markanter, leicht nasaler Stimme, Performer, Produzent und Musiker, der Keyboards, Gitarre, Bass bedient und ....ja, natürlich, bekannt für sein elektrisches Bratschenspiel ist: John Cale.

Am 29. November werden anläßlich seines Berliner Auftrittes am 4. Dezember 2001 auf Radio Eins Ausschnitte aus einem einstündigen Interview gesendet. Am 4. Dezember zeigt er sich dann in Höchstform auf der Bühne des ausverkauften BKA-Luftschlosses, in Lederhose und weitem Leinenhemd, hinter dem Flügel oder an der Gitarre, und bietet ein Einblick in sein Songschaffen der letzten 30 Jahre. Es ist erstaunlich, dieser Mann hat am 9. März 2002 sein 60. Lebensjahr vollendet (und in den Medien leider nur gähnende Leere)! Berlin ist ihm nicht unbekannt, denn er hat eine einst unbekannte, jetzt mit Kultstatus versehene Berliner Band, deren erstes Album nur 800 Anhänger fand, in London für das Major-Label Polydor produziert: Element of Crimes "Try to be Mensch". Über den Brecht-Film wurde schon oben berichtet. Cale hat die Musik in Berlin in wenigen Stunden skizziert. Und in Berlin wird er im Frühjahr 2002 im Hebbeltheater seine Biographie auf die Bühne bringen.

Jugend

Geboren wurde Cale am 9. März 1942 in Garmant, Wales. John Cale beschreibt seine Jugend im provinziellen Wales wesentlich geprägt von der Dominanz der Mutter - und der Unfähigkeit, mit dem Vater zu sprechen. Der spricht kein Walisisch, und Englisch lernt John erst mit sieben. Er genoß eine klassische Ausbildung, beginnt mit sieben Jahren das Klavier- und Violaspiel, spielt die Kirchenorgel und die Viola im walisischen Jugenorchester. Seine erste eigene Klavierkomposition, "Toccata in the Style of Khachaturian" wird mit 13 beim BBC aufgenommen. Er studierte am London Conservatory of Music ("Goldsmith College") Piano und Viola. Die Leidenschaft Cales für Musik beschreibt auch eine Sehnsucht nach Verständigung. Die Kunst wird nicht zur Heimat, sondern bleibt ein Fluchtpunkt. Ob im Jugendorchester, nachts am Radio (wo er Rock`n`Roll, Skiffle und Jazz entdeckt) oder am Konservatorium, wo er das erste Mal seine Lehrer befremdet, als er zum Studienabschluss ein Klavierkonzert im Knien mit den Ellbogen gibt. Das war 1960, später nimmt er schon mal die Axt. Cale ist von Selbsthass geplagt, aber mit einem Leonard-Bernstein-Stipendium in den USA (Berkshire School of Music bei Boston) ausgerüstet, vermittelt von den Komponisten John Cage und Aaron Copland, die er hartnäckig bearbeitet hat, um New York zu erreichen, ein Jugendtraum, obwohl der amerikanischen Komponist Aaron Copland Cales Spielweise für destruktiv hielt und um die institutseigenen Instrumente fürchtete. Mit dem Avantgarde-Komponisten und (Fast-)Namensvetter John Cage führte Cale ein Pianowerk Saties auf, dessen Hauptthema von 13 Pianisten in 36 Stunden 866 mal wiederholt wurde. Cale kam nach eigenen Angaben anfangs nie auf die Idee selbst Rock`n`Roll-Musik zu spielen, sondern beschäftigte sich mit der klassischen Avantgarde-Musik, elektronischer Musik und Performance.

La Monte Young und Velvet Underground

Mit Entschlossenheit steigt Cale dann von der Avantgarde immer weiter in den Rock-Underground. Einen entscheidenden Einfluss übt der Komponist La Monte Young aus. Der legendäre Minimalist, dessen Arbeit kaum dokumentiert ist, experimentiert mit Cale und dem Violinisten Tony Conrad, in der Gruppe Dream Syndicate. Hier hört man zum ersten Mal Cales charakteristisches Viola-Dröhnen, das später durch den Sound der Formation klingen sollte, die John Cales Ruhm begründete und sein Ego bis heute verstört: The Velvet Underground. Für einen spezifischen Sound bespannte Cale seine Viola mit Gitarrensaiten und stimmte sie in einer ungewöhnlichen Weise. Auf Konzerten spielten The Dream Syndicate Stücke, die aus einzelnen, langanhaltenden Tönen bestanden, die über Stunden ununterbrochen gespielt wurden. Damit erprobte Cale die monotone und minimalistische Spielweise, die später typisch für Velvet Underground werden sollten. Cales Kenntnisse über serielle Formen der Musik bildeten den Grundstein für den ganz eigenen, anderen und damals fast revolutionären Sound der Velvet Underground. Cale kam zwar von der Klassik, erkannte aber in Lou Reed und dessen Songs einen, der ihm auf eine anspruchsvolle Art das große Gebiet des Rock`n`Roll näherbringen konnte und mit dem er seine eigene Musikvorstellung verwirklichen konnte. Cale war jedoch nicht nur auf die Viola beschränkt, mit der er elektronische Splitterbomben warf, sondern spielte bei Velvet Underground abwechselnd Klavier, Gitarre und Bass. Der Pop Art-Papst Andy Warhol engagierte die Band, die sich 1965 in Syracuse, New Jersey als The Falling Spikes, gegründet hat, für seine Multi-Media-Show "The Exploding Plastic Inevitable", die ab April 1966 im "Dom" (Polnisch für Haus) auf der New Yorker Lower East Side gezeigt wurde. Nico alias Christa Päffgen aus Deutschland, damals Superstar der Warholschen Film-Factory und schon eine Single in der Tasche, half der Band als distanzierte Sängerin mit einem unvergleichlichen leeren, morbiden und nicht ganz sicheren Gesangsstil. Ihre Versuche, der Band Dylan näher zu bringen, scheiterten. Sie hassten die "Folkies" und Dylan, orientierten sich an Gitarrenbands. Nicos Anteil an der ersten LP wird überschätzt, sie sang nur drei Stücke. Mehr Raum wollte ihr der egoistische Lou Reed nicht lassen, auf der Bühne speiste er sie oft mit dem Tambourin ab. Im Frühjahr 1967 ging sie.

Der Name der Band ist Synonym für die verruchte Seite der Rockmusik, für Drogen und Sex, Lärm und Gewalt. Im Zentrum stehen mit Cale und Lou Reed zwei genialische Exzentriker, deren Grossmäuligkeit ihrer Brillanz kaum nachstand. In seiner Autobiografie bemüht sich Cale mit gewissem Erfolg, die Spur geteilter Nadeln und Frauen, Ästhetik und Ideen objektiv zu schildern. Die Beziehung zwischen ihm und Reed wirkt symbiotisch, man hält sie fälschlich für ein Liebespaar. Tatsächlich, mutmasst Cale bescheiden, war seine sexuelle Verweigerung womöglich ein Grund für Reed, den Freund und Katalysator aus der Band zu mobben. Cales kompositorischer Anteil an den Velvet Underground-Stücken ist größer, als es auf den Plattenhüllen dokumentiert ist. Cale macht von Beginn an Reeds Egomanie für Streitereien und Enttäuschungen verantwortlich, bis hin zu den letzten Gemeinschaftsarbeiten, dem mit Lob bedachten Warhol-Requiem "Songs for Drella (1990) und der Velvet-Underground-Reunion von 1993. Der Rausschmiss im Oktober 1968 nach den Alben "Velvet Underground & Nico" (März 1967) und "White Light/White Heat" (Januar 1968) jedenfalls wird für Cale eine zentrale traumatische Erfahrung. Dafür bekam er aber am gleichen Tag einen Vertrag von Columbia für zwei Alben und bekommt freie Hand für die Verbindung zwischen Klassik und Rockmusik.

Die Solojahre

Fortan vergiesst er sein Herzblut in den Soloarbeiten, produziert heute Legendäres von The Stooges, Nico, deren Mentor er ist, oder Patti Smith, aber die wirklich beunruhigende Energie konzentriert er in seine Liveauftritte als Sänger, Gitarrist und Pianist. Er galt aufgrund seiner künstlerichen Unbestechlichkeit als geistiger Führe. Sein erstes Album nimmt er 1969 auf ("Vintage Violence"), es erscheint im September 1970 und zeigt sein gutes Händchen für bemerkenswert schöne und eigenständige Melodien.

Seine Songs in dieser Zeit sind die besten, die er zu Papier bringt, kleine Perlen, viel besser als alles, was von Lou Reed kommt: Close Watch, Hanky Panky Nohow, Ship of Fools, ..... Seine Songs aus dieser Zeit werden auch von Künstlern gecovert. Seine Einspielungen hatten die "Qualität Hitchcockscher Mysterien": "Church of Anthrax" "vereint klassische Erinnerungen, aktuelle Rock-Gegenwart, und elektronische Zukunft zu raffinierten Essays musikalischer Universalität", "The Academy In Peril" "arrangiert die musikalische Geschichte Englands als konfusen Witz für Eingeweihte", "Paris 1919" verzerrt "die gesamte europäische Hochkultur durch eine dadaistisch-surrealistische Perspektive", "Fear" schreckt als "Abenteuer-Trip in die Nachtschatten-Welt eines Vierziger-Jahre-Films der schwarzen Serie", "Music For A New Society" paralysiert als "Meisterwerk zum Puls-Aufschlitzen", "Caribbean Sunset" sitzt "wie die Pistole auf der Brust", "Artificial Intelligence" überraschte als "Werk eines Humanisten mit der Freude am Skizzieren von Miniaturen." Cale sah sich in seinem Metier fehl am Platz: "Ich habe im Rock`n`Roll nichts verloren. Ich muß immer wieder darauf hinweisen, daß ich ein klassischer Komponist bin, der seine musikalische Persönlichkeit damit verludert, im Rock`n`Roll zu dilettieren." Sollte es eine Rückkehr zur Klassik geben, "dann möchte ich wie Schostakowitsch dastehen. Wenn die Zukunft der klassischen Musik jedoch in den Händen von John Cale liegt, dann gnade uns Gott." John Cales Musik lebt vom Nebeneinander E-musikalischer Avantgarde und Popmusik. Sein Werk ist geprägt von Motiven des Kunstlieds, orchestralen Collagen, Film- und Balettmusiken und kathartischen Rock-Zornesorgien.

Krieg, Aggression, Zerstörung werden seine bevorzugten Metaphern. Das Publikum zu überrumpeln und zu konfrontieren, wird zur Therapie für seine Zerstörungswut, die sich im wirklichen Leben meist gegen ihn selbst richtet. Berüchtigt ist Cale jedoch mehr für die symbolischen Attacken aufs Publikum: vor allem für Verdunkelungsmanöver, für die gewalttätige Aura der Eishockeymaske etwa, die er bei Konzerten trägt, für das öffentlich ins Auditorium geköpfte Huhn in Croydon, 1976, mit dem er selbst die anwesenden Punks schockierte. "Kein Mitleid mit dem Huhn", sagt er heute.

Während er sich die musikalischen Theorien aus dem klassischen Avantgardebereich holt, nutzt er, wie ein rockender Antonin Artaud, die Unmittelbarkeit des Populären. Ab einem bestimmten Punkt hält er die Performance für das "Wichtigste, was ich bis dahin getan habe." Die Initiation ist ein Auftritt in England mit Kevin Ayers, Nico und Brian Eno, veröffentlicht unter dem Datum "June 1 1974", darauf Cales unvermeidliches, zum Standard gewordene Fassung von "Heartbreak Hotel" mit dem verzweifelten Gebrüll am Ende.

"Eine Produktion", schreibt Cale, "ist erst komplett, wenn man sie auf Tour bringt und auf ein Publikum loslässt." Solcherlei Apodiktik, mit der er sich auch immer wieder seiner Rolle in den verschiedenen Partnerschaften versichert, zielt natürlich auch auf den "geschmacklosen Velvet-Kult", der den Blick auf seine eigene Musik verstellt.

Sonne scheint auch zu Beginn von Cales Solokarriere in Los Angeles, die er als Talentscout für Warner Bros. finanziell fundieren kann. Hier trifft er die Studio-Elite der Westküste. Kalifornien, das heisst auch für Cale schnelle Autos, schneller Erfolg und schnelle Drogen. Privat tut sich jedoch bald ein weiterer Abgrund auf - neben drogeninduzierter Nachlässigkeiten vor allem in Form einer desaströsen Ehe mit einer Musikerin der von Frank Zappa protegierten Frauenband GTO. Es folgen der Umzug nach London, ein paar Platten, ein paar verwüstete Bekanntschaften, und Cale kehrt ausgebrannt zurück nach New York. Zwischen 1976 und 1980 erscheint ausser "Sabotage Live" nur eine, nicht von Cale selbst verantwortete, Kompilation namens "Guts". "Honi Soit" aus dem Jahr 1981 kommt wieder frisch daher, in Rockbandbesetzung. Cale scheint die Errungenschaften der letzten Jahre (Punk) zu filtern, und vermischt sie mit Rock und New Wave. "Riverbank" ist wieder einer dieser klassischen Cale-Balladen für die Ewigkeit, Bestandteil seiner Soloabende.

Mitte der Achtzigerjahre scheint ihn die Geburt seiner Tochter Eden zu retten, auch nach der wieder unvermeidlichen Trennung von deren Mutter Risé. Er macht eine Entziehungskur, treibt besessen Sport, um seinen Körper jung zu halten, freut sich an Designerzwirn und stürzt sich in die Arbeit. Auch die verkorkste Velvet Underground-Reunion wirft ihn nicht nachhaltig aus der Bahn. "Ich habe im Moment die positivste und erfolgreichste Zeit meines Lebens", schreibt er. Er möchte dem Rockzirkus den Rücken kehren: "Ich habe versucht, ein Rockstar zu sein; daran bin ich nicht mehr interessiert. Glücklicherweise." "Gott weiß, warum ich nicht tun kann, was Brian Eno oder Lou Reed machen; und sie nicht das, was ich mache." 1996 hat der "Rockstar" mit "Walking on Locusts" aber wieder ein eingängiges Album mit potentiellen Hits (z.B. "Dancing Underwater") geschaffen, sehr homogen, mit poppig-countryhaftem (Steelguitar) Charakter und Weltmusikanklängen. Fast klingt er wie David Byrne, und der spielt bei einem Stück tatsächlich Gitarre und ist Koautor. Die Streichersoli- und Begleitungen stammen vom Soldier String Quartet.

Der walisische Eigenbrötler schuf die Musik zum multimedialen Spektakel "Life Underwater" und zum Film "American Psycho". Im Mai 2000 wurde er Ehrendoktor der belgischen Universität Antwerpen.

Die Autobiographie

So zerklüftet, wie John Cales musikalische Arbeiten oft sind, liest sich auch seine Autobiografie "What's Welsh for Zen". Cale hat sein Leben mit oft schmerzhafter Klarheit dem Publizisten Victor Bockris auf Band gesprochen, der nach Büchern über Warhol, Lou Reed und Velvet Underground so etwas wie der offizielle Biograf der New Yorker Popkultur der Sechzigerjahre geworden ist. Cale schickt seine Privatobsessionen und sein Milieu, den Underground, auf die Couch. Mit der Direktheit eines Liveauftritts beschreibt er, wie sich Drogen, Kunst und Handel verstricken und gegen ihre Subjekte verbünden können. Unschärfen, Redundanzen und Wiederholungen, Merkmale moderner Kunst und Musik, haben der Autor und sein Protokollant bewusst zugelassen.

Dank des Layouts von David McKean, das sich auf diese Form der Erzählung einlässt, ist "What's Welsh for Zen" zugleich eine schicke Reliquie für die Coffeetables mehrerer Generationen von Musikfans geworden. Eingebunden in grossformatige Rohpappe, purzeln punkig collagierte Schrifttypen und -grössen auf Erinnerungsfotos, die ausgewaschen und brüchig sind. Hinzugefügt sind Statements von Weggefährten; Songtexte werden assoziativ eingeworfen, und Tuschezeichnungen, schief und kantig, greifen wichtige Stationen auf.

"What's Welsh for Zen" ist keine Abrechnung und auch kein Klatschbuch. Zu heftig ist die Selbstkritik, zu düster sind meist die Skandale um Sex, Drogen und andere Exzesse. "Während ich das Buch schreibe, werde ich trauriger und trauriger. Ich finde keine Selbsterkenntnis, nicht die geringste Selbstachtung und keine Vision", heisst es einmal in einer Passage zu den Achtzigerjahren.

Selten sind Cales Erinnerungen so unbeschwert wie in den frühen New Yorker Tagen, mit leichten Drogen von La Monte Young, "dem besten Dealer der Avantgarde." Die Freundschaft mit Andy Warhol ist eine der wenigen dauerhaft freundlichen Erlebnisse in Cales Leben. Immer wieder kreuzen sich ihre Wege, auch nachdem Lou Reed Warhol als Manager von Velvet Underground absetzt.

Auch in seinem Buch ist Cale ein guter Erzähler, der sich der Stimmungen, die er vermittelt, sicher ist. So meint er zu seiner besten Platte: "Music for a New Society" ist freudianisch. Quälend ist das richtige Wort. Alle Figuren in den Liedern haben etwas verloren. Unglücklicherweise endet es für die Hauptfiguren immer in der Isolation. Die Stücke zu singen war für mich wie Method Acting."

Gelegentlich raunt es ein wenig heftig, John Cales walisisches Zen-Mantra, von den Frauen, Freunden, Drogen, die ihn durch die Jahre verlassen haben, zuallererst die Mutter, die für Jahre auf der Krebsstation verschwindet. Dann gehen die Lebern kaputt, seine eigene und auch die von Lou Reed, und es sterben die Leute: Warhol, Nico, Sterling Morrison, dem das Buch gewidmet ist, (Bassist und Gitarrist bei Velvet Underground, später Literaturdozent), der Vater, der "eine leere Seite" bleibt.

Eine 1992 erschienene Aufnahme eines Soloauftritts nennt er "Fragments of a Rainy Season". In ihrem Lauf durch die Jahrzehnte wirkt sie wie eine autobiografische Herbstreise. "What's Welsh for Zen" funktioniert ähnlich, eben nicht nur gelebt, sondern auch komponiert. In der Einleitung heisst es: "Each piece in the book in a sense might be like a song in that its short, sweet, satisfying, amusing, informative and cool (and hip)."

Diskographie (ohne Singles und Sampler), mit Label und Erscheinungsjahr:

· "LaMonte Young's Dream Syndicate" (Columbia, 1962)
· "Table of Elements" (Sun Blindness Music, Musik aus der Zeit von 1965 bis 1968)
· "The Velvet Underground & Nico" (mit Velvet Underground, Verve, 1967)
· "White Light/White Heat" (mit Velvet Underground, Verve, 1968)
· "Vintage Violence" (Columbia, 1970)
· "The Church of Anthrax" (mit Terry Riley, Columbia, 1971)
· "The Academy in Peril" (Reprise, 1972)
· "Paris 1919" (Reprise, 1973)
· "Fear" (Island, 1974)
· "June 1 1974" (mit Kevin Ayers, Nico und Brian Eno, Island, 1974)
· "Slow Dazzle" (Island, 1975)
· "Helen of Troy" (Island, 1975)
· "Guts" (Island, 1977)
· "Sabotage Live" (Spy, 1979, Livealbum)
· "Honi Soit" (A&M, 1981)
· "Music for a New Society" (Ze, 1983)
· "Carribean Sunset" (Ze, 1984)
· "John Cale Comes Alive" (Ze, 1985)
· "Artificial Intelligence" (Beggars Banquet, 1986)
· "Even Cowgirls get the Blues" (Special Stock, 1986, Livealbum aus dem Jahr 1978)
· "Words for the Dying" (Opal, 1989)
· "Wrong Way Up" (mit Brian Eno, Opal, 1990)
· "Songs for Drella" (mit Lou Reed, Sire, 1990)
· "Paris S'Eveille" (Les Disques du Crespuscules, 1991)
· "Fragments for a Rainy Season" (Hanniba1, 1992, Livealbum)
· "Live MCMXCIII", (mit Velvet Underground, Columbia, 1993, Livealbum)
· "Seducing Down the Door" (Rhino, 1994)
· "3 Solo Pieces for La naissance de L'Amour" (Les Disques du Crespuscules, 1993)
· "Last Day on Earth" (mit Bobby Neuwirth, MCA, 1994)
· "Peel slowly and see" (CD-Box mit Velvet Underground, Columbia, 1995)
· "N'Oublier Pas Que Tu Vas Mourir" (Les Disques du Crespuscules, 1995)
· "Antartida" (Les Disques du Crespuscules, 1995)
· Island "The Island Years" (Island, 1996)
· "Walking on Locusts" (Hannibal, 1996)
· "Eat/Kiss" (Hannibal, 1997, Musik aus den Filmen von Andy Warhol)
· "Nico/Dance Music" (Detour, 1998)
· "Le Vent De La Nuit" (Les Disques du Crespuscules)
· "Unknown" (Les Disques du Crespuscules)
· "Close Watch" (Polygramm)

Darüber hinaus hat er auf vielen Samplern seine Spuren hinterlassen. Mitgewirkt als Musiker hat er neben vielen anderen Produktionen bei den Tonträgern von William Burroughs, Leonhard Cohen, Brian Eno, Nick Drake, Mike Heron, Nico, The Replacements, The Stooges, Maureen Tucker, und Suzanne Vega.

Die Liste seiner Produzententätigkeit ist sehr lang: Nicos erste Alben, bei denen er auch als Musiker und Komponist aktiv war, und in alphabetischer Reihenfolge Elements of Crime, Lio, Jesus Lizard, Happy Mondays, Jonathan Richman and the Modern Lovers, Patti Smith ("Horses"), Siouxsie an The Banshees, Squeeze, The Stooges (bei beiden z.B. die hochgelobten Debütalben), Jennifer Warnes, und, und, und...

Cales Bratschenspiel

Als Beispiel für sein Bratschenspiel sollen hier vier Songs dienen: Ein Stückchen von "Heroin" (Lou Reed) sowie der Song "The Black Angel`s Death Song" (Cale/Reed), beide vom ersten Velvet Underground-Album und beide Beispiel für den typischen eintönigen "Bordunstil". "Wall", ein Violasolo, kommt von den Aufnahmen zum ersten Soloalbum und kam erst bei der Neuauflage auf die CD. Es steht ebenfalls für Cales avantgardistischen Stil. "The Streets of Laredo" vom Album "Honi Soit" ist eine schräge Version eines amerikanischen traditionals, mit schöner Soloviola.

Aus urheberrechtlichen Gründen können die Stücke hier leider gar nicht als mp3-Dateien gespeichert werden. Wer sich aber in den einschlägigen Internet Tauschbörsen (z.B. Audiogalaxy) umsehen möchte oder gar die eine oder die andere CD erstehen will, erhält hier konkrete Infos zu den Stücken:

"Heroin" (aus der CD The Velvet Underground & Nico, 1967)

"The Black Angel's Death Song" (aus CD The Velvet Underground & Nico, 1967)

"Wall" (aus der CD Vintage Violence, 1970)

"Streets of Laredo" (aus der CD Honi Soit, 1981)

Sven-Martin Nielsen, März 2002

Quellen: John Cale und Victor Bockris: What's Welsh for Zen? Mark Ford: The style it takes Barry Graves, Bernward Halbscheffel, Siegried Schmidt-Joos: Das neue Rocklexikon Harald Klinke: The Velvet Underground Eine Untersuchung des ästhetischen Einflusses Andy Warhols auf die Band

 
     

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